Trauerarbeit mit dem Bildhauer Joachim Kreutz

Bericht des SWR

SWR1 Sonntagmorgen Begegnungen

 

Trauer als Lebensenergie

Sonntag, 03. November 2013

Annette Bassler, evang. Kirche, trifft Joachim Kreutz, freischaffender Bildhauer, Nieder-Ursel bei Frankfurt

Der November ist ein Trauermonat. Viele gehen an die Gräber und denken an ihre Lieben, die gestorben sind. Ein besonderer Trauerbegleiter ist Joachim Kreutz. Er ist von Beruf Bildhauer und entwirft und gestaltet mit Eltern, die ein Kind verloren haben, den Grabstein für dieses Kind. Das ist ein gutes Stück Arbeit. Und am Ende ist Joachim Kreutz immer wieder überrascht, wie heilsam diese Arbeit für die trauernden Eltern ist und wie schön solche Grabsteine werden.

Wo haben sie so was, dass jemand vor dem Denkmal, vor dem Grabmal des Kindes steht und sagt: „Mein Gott, ist der schön!“ Und dann denk ich, da mach ich die richtige Arbeit. Ich mach nämlich keinen Grabstein, wir schaffen diesem Kind, dieser Seele eine Skulptur.

Joachim Kreutz ist Bildhauer in Nieder- Ursel bei Frankfurt. Dort entstehen nicht nur seine eigenen Skulpturen. Sondern auch Skulpturen, die er gemeinsam mit trauernden Eltern entwirft und gestaltet. Skulpturen, die dann auf dem Grab ihres Kindes stehen. Seit 10 Jahren arbeitet er mit Einzelnen und Gruppen und hat entdeckt: Wer Steine zu bearbeiten hilft, der eigenen Trauer eine zu Gestalt zu geben. Und die Trauer in Lebensenergie zu verwandeln.

Der Trauer eine Gestalt geben
Man muss seinen Rhythmus finden beim Steine bearbeiten. In der einen Hand den Meisel, in der anderen den Klöpfel arbeitet man sich Millimeter um Millimeter voran. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis alles weg ist, was nicht hingehört. Joachim Kreutz hat schon viele Grabsteine hergestellt, auftragsgemäß. Eines Tages kommt ein junger Mann in sein Atelier. Seine Frau sei an Leukämie gestorben, sagt er. Ob er den Grabstein für sie selber machen darf und ob er ihm dabei hilft. Joachim Kreutz lässt sich darauf ein. Er sucht mit ihm den Stein aus, erklärt ihm die Grundtechniken und dann-

Dann hat er angefangen zu hauen mit einer Gewalt, mit einer Aggression, das war nicht mehr normal. Dann hab ich gesagt: was machst du denn da? Sagte er: So ein Mist, warum passiert mir das?. Warum stirbt meine Frau, die ich so geliebt hab! Und das fand ich erstaunlich, dass das Gefühl so stark kommt beim Stein hauen.

Wut und Schmerz, aber auch Liebe und Hingabe. All das meißelt er in den Stein. Als er fertig ist, setzen ihn die beiden Männer auf das Grab der geliebten Frau. „Können wir noch ein Gebet sprechen?“ fragt der Mann.

Dann haben wir uns hingekniet, haben ein Vater Unser miteinander gesprochen. Wir haben beide Rotz und Wasser geheult, es war so ergreifend. Und dann steht er auf und sagt: Jetzt hab ich was abgeschafft.

Mich erinnert das an Heilungsgeschichten in der Bibel. Da tobt und wütet einer über seinem Schicksal. Und irgendwann öffnet sich ihm der Himmel. Die Wut auf das  Schicksal, die Verzweiflung, die Trauerstarre lösen sich auf. Und auf einmal kann sich der Mensch wieder dem Leben zuwenden. Joachim Kreutz hat dieses Erlebnis ein paar Jahre mit sich herumgetragen und darüber nachgedacht. Was war das damals eigentlich? Heute beschreibt er es so:

Diese Umwandlung von dieser Trauerenergie in eine schöpferische und dass das wirklich geht, dass ich mir meine Trauer angucken kann nachher durch meinen schöpferischen Prozess kann ich mir das Stück angucken und auch die Anderen können es sich angucken. Ich hab’s ein Stückweit aus mir raus.

Ich habs aus mir raus, das heißt: Ich bin diesen Gefühlen nicht mehr ausgeliefert. Das ist möglich, wenn man drüber redet. Oder wenn die Gefühle eine Gestalt bekommen. Zu einer Skulptur werden. Und diese Skulptur wird zu einer Art Brücke. Eine Brücke zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten. Viele Eltern, die um ihr totes Kind trauern, sind dankbar für die Möglichkeit, mit ihm solche Brücken zu ihren Kindern zu schaffen.
Alles, was wir an guten Energien, an Gestaltungskräften in so ’ne Skulptur… reinlegen, geben wir mit. Da empfinde ich schon, dass auch in der Arbeit mit den Eltern eine Transparenz entsteht zwischen dieser geistigen Welt und unserer Welt, es wird transparenter und ich denk, das spüren die Eltern sehr genau.

Trauer: das Nachtgesicht der Liebe
In seiner Werkstatt stehen wunderschöne Steine. Roh behauene und fertige Grabsteine, die er gemeinsam mit trauernden Eltern entworfen und fertig gestellt hat. Viele wissen nicht recht, wie sie Eltern in ihrer großen Trauer begegnen sollen. Er sucht die Nähe zu ihnen. Warum?
Einmal, ham Eltern das Grabmal gemacht für Smila, die einen Tag vor der Geburt gestorben und die Mutter musste es zur Welt bringen. Und da gibt es ein Foto, wo Vater und Mutter dieses tote Kind im Arm halten. Ich hab noch nie so viel Liebe gesehen wie da.

Und darum geht es ihm eigentlich. Um die Liebe. Die Liebe ist das Taggesicht der Trauer.
Aber weil sie in der Nacht der Trauer gefangen ist, schreit sie danach, wieder ans Licht zu kommen. Und Gestalt werden zu dürfen. Und dabei hilft Joachim Kreutz den Eltern. Ganz praktisch. Er geht mit ihnen auf den Friedhof, ans Grab ihres Kindes. Steckt sich weichen Ton in die Tasche.

Die Eltern erzählen mir von der Biografie des Kindes und während die Eltern mir das erzählen, fang ich an zu modellieren. Und ich brauch gar nicht hingucken auf meine Finger, das brauch ich gar nicht, das formt sich fast von allein. Und nach einer Stunde, anderthalb, dann guck ich hin und denk: Ach, das ist aber eine interessante Form! Dann lass ich die Mutter modellieren, lass den Vater modellieren, korrigiere das noch ein bisschen und sag: Das- ist er!

So entsteht das Modell. Für den Grabstein, der eigentlich kein Grabstein ist, sondern so etwas wie die Skulptur einer Kinderseele. Joachim Kreutz sieht sich dabei vor allem als Werkzeug dafür, dass Trauer sich in Lebensenergie verwandeln darf.

Es gibt dafür keine Ausbildung, Sie können das zwar handwerklich irgendwie machen und können ein guter Pädagoge sein, aber Sie brauchen eins und das ist das, was mich so prädestiniert dabei. Ich hab einen unglaublich starken.. mütterlichen Anteil. Den brauchen Sie! Sie können nur Werkzeug sein, wenn Sie auch ein Stück mütterlich sind- dieses: dienen oder tun, einfach tun.

Selten habe ich während eines Gespräches ein so starkes Gefühl von Leben gehabt. Wie wertvoll es ist, zu leben und anderen zum Leben zu verhelfen. So wie Jesus das gemacht hat. Der sich ohne Scheu trauernden und verzweifelten Menschen zugewandt und sie zu neuem Leben geführt hat. Joachim Kreutz hat sich als Künstler, der er ist, noch einmal neu verstanden.
Dass ich das Werkzeug bin, das ist die Kunst, die Kunst Werkzeug zu sein und nicht der große Künstler, der sagt: schauen Sie mal, was ich hier Wunderbares habe für Sie, sondern sich auch zurückzunehmen und den festen Glauben zu haben, dass Menschen eine große Gestaltungskraft haben. Wenn Sie das machen, werden Sie zu einem gestalterischen Werkzeug. Und dann erreichen wir unser Ziel wunderbar.

Das Gefühl, Werkzeug zu sein- die Bibel sagt dazu Demut. Die wünsche ich allen Künstlern- Ihnen und mir.

www.Joachim-Kreutz.de

Über chaoszeit

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